Emma, Liberte
„Das wird nicht durchkommen“ meinte Alexander, „keine Chance.“
„Warum nicht? Es ist nur eine Erweiterung dessen, was wir schon haben. Das Recht, sich auf dem Schiff aufzuhalten, auf dem man auch sein will.“ widersprach Emma.
„Das ist weit mehr als eine Erweiterung, das greift in die Autonomie aller Schiffe ein.“
„Nur da, wo die Schiffe in die Autonomie der Menschen eingreifen.“
Sie saßen in einem Gemeinderaum an einem Tisch, vor sich der aufgeklappte Computer, auf dem das Schriftstück zu sehen war, ein Antrag zur Erweiterung der Flottengesetzgebung, ein Antrag auf ein allgemeines Menschenrecht, unabhängig davon auf welchem Schiff jemand lebte. Ein Antrag darauf, dass niemand gezwungen werden konnte sich auf einem Schiff aufzuhalten, auf dem er oder sie nicht sein wollte.
„Das unterhöhlt die Sklaverei.“ stellte Peter sachlich fest.
„Was ist falsch daran.“
„Nichts, nur dass wir damit die Serva, die Nova und alle anderen Sklavenschiffe schon mal gegen uns haben.“
„Alle Schiffe, die nicht allzu viel Wert auf persönliche Freiheit legen, die Schiffe der Sekten, denen sicher nicht Recht ist, wenn ihre Leute einfach gehen können.“ stimmte Alexander ihm zu.
„Die gehen doch davon aus, das alle begeistert sind, bei ihnen zu sein.“ erwiderte Emma.
„Nicht ausschliesslich.“
„Die meisten Schiffe wären auf unserer Seite, Schiffe wie die Arindes, die Barralyawim, die Grendel.“
„Aber nicht genug. Um ein Gesetz bindend zu machen, muss es von 90% der großen Schiffe unterstützt werden. Und es kommen noch die Kulturrelativisten dazu, die denen die Autonomie der einzelnen Schiffe über alles geht, wie die Sandros.“
„Sie werden davon ausgehen, dass wir missionieren wollen, anderen unsere Lebensweise aufzwingen.“ meinte Michaela.
„In gewisser Weise wollen wir das auch.“ nickte Peter.
„Das Recht auf Selbstbestimmung für jeden Menschen.“ stellte Emma sarkastisch fest, „Das ist doch kein Aufzwingen unserer Lebensweise.“
„Nach dem Selbstverständnis vieler in der Flotte beißt sich das.“
„Nur wenn man es als Selbstbestimmung ansieht, andere zu versklaven.“
„Das tun viele, sie setzen unfreie Beziehungs-Strukturen voraus.“
„In denen es aber so wie so keine Selbstbestimmung gibt, sondern nur kleinere Freiheiten, die durch Macht über anderen erkauft werden. Jede Freiheit bedeutet dann eine Unfreiheit für andere.“ beklagte Emma.
„Das ist nichts Neues, aber sie denken in diesem Muster, und Menschen die so denken, kannst du schlecht mit dem Verlangen nach wirklicher Selbstbestimmung für jeden kommen.“
„Und darum sollen wir gleich aufgeben? Es nicht einmal versuchen?“
„Nein, natürlich nicht. Versuchen wir es, gehen wir es noch einmal durch und schicken es an die Freiheit und die Özgülück, vielleicht haben die noch Anmerkungen.“
„Dieser Vorschlag wird zu Problemen führen.“ Wandte Michaela ein.
„Er wird abgelehnt werden.“
„Nein, es geht weiter, er zwingt die anderen Schiffe sich zu positionieren, Stellung dazu zu beziehen, dass es so viel Unfreiheit in der Flotte gibt, und das wird vielen nicht gefallen. Sie wollen einfach ignorieren, was um sie herum vorgeht.“
„Das können sie weiterhin, und so tun als würden sie einfach nur die Autonomie andere Schiffe respektieren.“
„Nein, wenn sie gegen den Entwurf stimmen, erklären sie sich dadurch damit einverstanden, dass auf anderen Schiffen die Freiheit von Menschen eklatant eingeschränkt wird.“
Die Schrift leuchtete dunkelblau auf dem gelblichen Bildschirm. Ein kurzer Text, der mit nur wenigen Worten ein wesentliches Anliegen ausdrückte: Das Recht jedes einzelnen Menschen zu entscheiden auf welchem Schiff er sich aufhielt. Ohne Einschränkungen, ohne wenn und aber, nur dieses eine, klare und einfache Recht.
„Als nächstes wird die Nova kommen, mit dem Antrag, das geflohene Sklaven wieder ausgeliefert werden müssen.“
„Auch das wird nicht durchkommen.“
„Es wird alles beim Alten bleiben“ meinte Peter.
„Nein“, widersprach Michaela, „Es wird das Klima zwischen den Schiffen verschärfen, die Differenzen verdeutlichen, eventuell Fronten bilden.“
„Ist das so falsch?“
„Ja, ich denke in der aktuellen Situation schon. Die zivile Förderation steht noch lange nicht, das Militär ist noch zu stark, gerade jetzt sollten wir kooperieren.“
„Faule Kompromisse machen.“
„Nur etwas Geduld, mit solchen Vorschlägen später zu kommen, wenn die zivile Förderation stark genug ist und wir nicht mehr fürchten müssen, das wieder das Militär übernimmt.“
„Und bis dahin lebt eine weitere Generation von Menschen in Sklaverei.“
Mit einem tiefen Seufzer senkte Michaela den Kopf. „Das wirst du so oder so nicht ändern, wir können die Sklavenschiffe nicht daran hindern Sklaverei zu betreiben.“
„Wir können es versuchen, können daran arbeiten, alles uns mögliche tun um die Sklaverei zu beenden.“
„Aber doch so, dass es die Situation verbessert, nicht verschlimmert.“
„Das sind faule Kompromisse.“ widerholte Emma.
„Nein, das ist Politik und Weitsicht.“
„Und was machen wir mit den Gefangenen, den Versklavten?“
„Ihren Widerstand unterstützen, Fluchthilfe leisten, was wir die letzten 100 Jahre mit ihnen machen.“
„Das widert mich an!“
Darauf erwiderte Michaela nichts, sah Emma nur schweigend an.
Später stand Emma unter dem Rund der Kuppel, auf der obersten Plattform des Biotops, sah hinauf zu den Sternen, auf die anderen Schiffe, und fragte sich, ob die Menschheit jemals aufhören würde damit, Menschen nach Schiffszugehörigkeit aufzuteilen und elementare Recht davon abhängig zu machen, wo man durch puren Zufall geboren wurde.
Hinter sich hörte sie Schritte.
„Hey“ sagte Luise, trat hinter sie und legte ihre Arme um Emma.
„Da draussen sind so viele Menschen, die keine Chance haben, nie eine haben werden. Und wir sehen einfach zu.“
„Das stimmt doch nicht, wir sehen nicht nur zu, wir tun was wir können.“
„Tun wir das? Wir machen Kompromisse, arrangieren uns, kooperieren mit Sklavenhaltern, schliessen Bündnisse und halten still. Wir stehen nicht einmal offen zu dem, was wir tun um das Leid zu mindern.“
„Das ist Flottenpolitik.“
„Die Flottenpolitik kotzt mich an.“ Sie drehte sich um, sah ihrer Freundin in die Augen. „Ach Luise, ich will das nicht mehr.“
„Niemand von uns will das, auch Alexander und Michaela nicht, aber sie halten es für notwendig.“
„Und du?“
„Ich weiß es nicht. Ich denke, dass wir mutiger sein sollten, dass wir recht haben, aber ich denke auch, dass es nicht gut wäre zu viel zu riskieren. Ach ich weiß nicht, wenn ich sicher wäre, wäre ich im Rat und würde für das kämpfen, von dem ich überzeugt bin.
Es ist alles sehr kompliziert.“
„Weil wir es dazu machen.“ Emma lehnte sich leicht gegen Luise. „Es wäre viel einfacher, wenn wir nicht so viel Angst hätten.“